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26.02.2024

Ein Tagebucheintrag über die kakaohaltige Frage "Na, hast du schon jemanden gefunden?"…

Es ist ein herbstlich kalter Oktobernachmittag und ich belagere das Sofa meiner Oma. Eingehüllt in die kuscheligste Decke der Welt, nippe ich genüsslich an einer Tasse Kakao, höre dem leichten Prasseln der Regentropfen auf der Fensterscheibe zu und greife Krümmel Monster mäßig in die volle Dose frischgebackener Kekse neben mir. Alles ist besser bei Oma! Die Kissen sind bequemer, die Lampen leuchten angenehmer, das Wasser schmeckt besser und vom Essen brauchen wir garnicht erst zu reden, denn das ist sowieso nirgendswo so gut, wie bei ihr. An keinem anderen Fleckchen überströmt mich so eine starke Wunschlosigkeit und Glückseligkeit und nur hier ist meine Welt für einen Moment lang wirklich heil. Die Küchentür öffnet sich und mit meiner Oma kommt die sanftmütige Stimme Elvis hervor. Ganz rosarot und mit einem "love me tender" Ohr- und Herzwurm kommt Omi auf mich zu, füllt meine erst halbleere Tasse mit frischem Kakao auf, stellt die Keksdose noch ein Stück näher zu mir ran und legt zärtlich ihre warme Hand an meine Schläfe. "Mein Kind, ich wünsche dir alles Glück der Welt und dass du die größte Liebe auf Erden finden mögest. Nichts ist erfüllender, glaube es mir. Gibt es denn schon jemanden? Hast du wen gefunden? Ach, es wird sich sicher bald einer finden. Mach dir keinen Kopf, du weißt ja, zu jedem Topf gehört ein Deckel. Ich bin stolz auf dich, was du schon alles geschafft hast und wie mutig du bisher warst. Da wünsche ich dir wirklich einen, der das wertschätzt und dich ehrlich und aufrichtig liebt. Nicht so wie dieser eine, der immer nur an sich dachte oder der, der nie auf dich eingegangen ist oder der, der mit seinen Gedanken immer woanders war oder der, der…" Während Oma die Männer so auflistet, als schriebe sie einen imaginären Einkaufszettel, beginne ich nachzudenken und erstmals zu hinterfragen, ob ich nicht eher eine Pfanne als ein Topf bin, bei den ganzen aufgezählten Fehlschlägen. Diashowartig sehe ich sie alle plötzlich nochmal vor mir und mit ihnen spüre ich auch alle Emotionen, die aus der ach so gut verdrängten Ecke meiner Seele hervorkriechen. Zittrig greif ich zum Keks Nr. 1002 und richte meine Augen und Ohren wieder zu Omi. "Ach mein Kind, lass dir Zeit, du bist noch so jung, genieße diese Freiheit! Die habe ich nie gehabt. Hätte ich die Möglichkeit, dann würde ich vieles anders machen. Es wird sich einer finden, früher oder später. Möchtest du noch einen Joghurt? Ich bring dir einen." Ein Gefühl der Übelkeit macht sich bemerkbar und ich kann nicht einschätzen, ob es an der Überdosis Keksen mit Kakao, an der Liebespredigt meiner Oma oder an der bedrohlichen Ankündigung des Joghurts liegt. Der Regen hat aufgehört und mit ihm das Gefühl des "alles ist gut". Was stimmt denn da nicht mit mir? Auf der einen Seite suche ich wie ein irrer Tarzan im Dschungel nach Nähe, Liebe, Sex oder sonstiger Zuneigung und andererseits mach ich einen auf Ice Age-Mammut Manfred und will nur einsam und in Ruhe meinen eignen Weg gehen. Was denn nun?

Es fallen die ersten winzigen Schneeflocken in diesem Winter herunter, die ich bei einer Tasse Kakao in meinem Lieblingscafé an der Uni beobachte. Umzingelt von frischverliebten Mistelzweigjunkies, händchenhaltenden älteren Ehepaaren und Glühwein-parfümierten Studenten versuche ich den Blick von außen auf mich selbst zu richten. Diese Fragen "was denken wohl die anderen von mir?" und "wieso sitzt sie allein da? Hat sie etwa niemanden?" zischen mir wie Hirnfrost durch den Schädel. Neben dem kleinen aufkommenden Hungergefühl stößt mir dazu eine Welle an Wut plötzlich hoch. Was lass ich mich da eigentlich so stressen? Mir geht's doch gut. Meine Seele und das Herz leben frei und unabhängig. Außer mir selbst gibt es niemanden, der sie belasten könnte und mein eigenes Tun zum Unglücklichsein reicht völlig aus. Da brauch ich nicht noch jemand weiteren, der sich darum bemüht. Von der Kakaotasse blick ich hoch auf das Pärchen gegenüber von mir. Nein wie wunderschön sie zusammen aussehen. Da wird mir einfach warm ums Herz. Ich erinnere mich an die Zeit bei ihm, wie wir eingekuschelt in seiner grauen großen Decke zusammen im Bett lagen und fernsehschauten, wie wir in der Küche standen und uns tief in die Augen sahen, wie ich seine Hand auf dem Sofa hielt, während wir Musik hörten und wie er seinen Arm um mich legte. Ich erinnere mich an die vielen kurzlebigen Augenblicke in Clubs, wo feurig heiße Blicke durch den Raum strahlten, wo Körper sich rhythmisch aneinander anheizten, wo unbekannte Handynummern und fremder Speichel ausgetauscht wurden und wo die eigene Freiheit niemals wieder so groß zu sein schien. Aus den Gedanken heraus reist mich dann die Glühwein-Fraktion zwei Tische weiter, die jetzt ihre Sammelbestellung an Zimtschnecken und fleischgefüllten Teigtaschen aufgeben. Na Prost Mahlzeit. Leicht amüsiert von deren Lebensfreude und leicht neidisch auf ihre Lebensleichtigkeit kommt mir mit einem Mal die Erinnerung an die Kindheit auf. Schon damals musste man sich zu zweit zusammentun, in Reih und Glied aufstellen, Hand in Hand. Wow, denk ich, Parship ganz ohne monatlichen Beitrag und ohne die widerlichen Bilder irgendwelcher Gliedmaßen. Dieser kranke Zwang, unbedingt und so schnell und nachhaltig wie möglich jemanden zu finden, verdammt was ist nur passiert? Jane Austen würde in ihrem Grab den Salto schlagen. Keinen Partner für die Zweierreihen im Kindergarten gefunden und Schwupps wurde man als ewig einsamer Loser abgestempelt. Das gleiche Gefühl wie das damals, als man als letzter ins Völkerballteam aufgerufen wurde. Abscheulich, da sitzt man auf der Bank, die Mädchen wie die Hühner auf der Stange und die Auserwählten der Klasse entscheiden, ob du tauglich, schön oder schlau genug bist. Ob mich das so geprägt hat, dass ich lieber frei leben und lieben will, unabhängig von den anderen oder hat es doch mit der Trennung der Eltern zu tun? Wenn ich so tief den Drang und Wunsch nach Freiheit in mir spüre, warum dann dieses ständige "Lückenfüllen"? War das nicht die soziologische Psychologie der Löcher von Kurt Tucholski, die die Theorie vom Loch-stopfen-Zwang in der Welt darstellte? Wobei es einen auch etwas an den guten alten Sigmund Freud erinnert. Der Verlust der Eltern nach dem Rausfliegen aus dem Nest muss ja irgendwas mit sich bringen. Bloß was bringt einen jungen Menschen beispielsweise dazu, den Weg in Richtung Monogamie zu gehen oder den der Polyamorie einzuschlagen? Mit Gedanken an meine ersten sexuellen Erfahrungen und an all die Männer, die im Nachhinein meinem Vater irgendwo ähnelten, sitze ich zunehmend verstört beim letzten Schluck Kakao. Oh man, und wieder geht's so tief in die psychisch wirre Lebensphilosophie rein. Liegt bestimmt an der im ganzen Café ausgebreiteten stickigen Punschwolke. Wird Zeit, dass ich auch mit dem 15Uhr-Nachmittags-Alkohol anstoße und nicht auf der heißen Heile-Welt-Kinder-Disney-Schokolade sitzen bleibe. Aber die schmeckt so viel besser. Ach, das ist doch alles ein riesengroßer, patriarchaler Mist!

Täglich versuche ich achtsam und mit möglichst sauberer Brille durch die Welt zu gehen, auf meine Mitmenschen zu achten und aus Fehlern zu lernen. Individuell zu sein, hinter mir selbst und meinen eigenen Gedanken und Sichtweisen zu stehen, daran muss ich wirklich noch üben, denn oft genug passiert es, dass ich klein beigebe, um Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Stundenspäter überkommt mich dann der Selbsthass, weil ich nicht das Maul aufgerissen habe, und jedes Mal denke ich, verdammt, wie schlecht spielst du bitte die Hauptrolle in deinem eigenen Leben! Es ist nicht leicht, aufgrund innerer Einstellungen gegen den Strom zu schwimmen oder sich plötzlich gegen Menschen zu stellen, die man liebt. Auf der anderen Seite, was wäre die Welt ohne genau diese bunte Vielfalt, die gerade durch Differenzen entstehen und aufatmen kann. Das erinnert mich an Simone de Beauvoir, die einst sagte "Das Glück besteht darin, zu leben wie alle Welt und doch zu sein wie kein anderer" und es wird wirklich Zeit, dass ich meine Art von Glück sowie mein eigenes Verständnis von Liebe finde und damit um volle 360 Grad zu mir selbst stehe. Es ist meine Regie, es ist meine Bühne und es ist mein Kostüm. Dieses Glück, so zu leben und zu lieben wie man möchte - in Frieden, Sicherheit und ohne die Angst, nicht aufgerufen zu werden - steht jedem zwei-, vier- oder tausendbeinigem Lebewesen auf der Welt zu und wir sollten wirklich damit anfangen, jenes Glück als unantastbar zu betrachten. Also raus und hoch mit den vielen Glühwein- und Kakaotassen, die doch viel zu schade fürs Rumstehen im Schrank der Gleichheit sind. Prost!

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