Einmal im Jahr

13.05.2024

Männer oder Kuchen? Oder Männer und Kuchen? Das ist hier die Frage…

Strahlend blau ist der Himmel und draußen spürt man die frischkalte sommerliche Morgentemperatur. Auf den Straßen ist nichts los und von der Nachbarschaft hört man auch keinen Piepser. Alle noch im Tiefschlaf, diese Nachteulen. Nur das munter heitere Gezwitscher vieler kleiner Vögelchen dringt einem melodisch in die Ohren ein. Sonntag. Einmal in der Woche, für einen Tag lang Ruhe, Stille und Friedlichkeit, zumindest in den Morgenstunden. So gehe ich wie gewöhnlich raus zum Schreiben gegenüber ins Café. Ich freue mich dabei schon sehr auf das bekannte Gesicht der Sonntagsverkäuferin, die mich immer lächelnd begrüßt und die mittlerweile meine Begierde nach einer heißen Tasse Tee am Morgen verinnerlicht hat. Ein Sonnenschein, diese liebe Frau. Nach einem Hüpfer über die Straße bin ich nur noch wenige Meter von meiner kleinen Autorin-Tee-Oase entfernt. Auf dem Weg dorthin bemerke ich plötzlich eine Masse an dicken BMWs, die alle am Rand der Straße parken, teilweise auch im Halteverbot. Ja klar, willkommen bei den Bayern. Leicht genervt von der Protzigkeit mancher (männlicher) Mitmenschen, gehe ich an zwei kleinen kläffenden Hunden vorbei, die angeleint am Baum sitzen. Arme Tiere! Wie können Menschen nur so herzlos sein und die Hunde draußen allein lassen? Ich spüre, wie sich die Hitze im Bauch verstärkt. Erst die ganzen Bonzen Schüsseln und dann auch noch missachtete Tiere. Bravo. Ich gehe um die Backstube herum und was sehe ich da, eine riesenlange Schlange. Ja klasse, auch noch anstehen. Für eine Tasse Tee. Ich watschle an das Ende und dabei fällt mir mit einem Mal auf, dass die Schlange nur aus Männern besteht. Hä? Ich versteh die Welt nicht mehr. Sonst bin ich entweder die Erste und lange Zeit die Einzige, bis dann irgendwann gemächlich die ersten Familien oder älteren Leutchen kommen, um ihre Frühstücksbrötchen abzuholen. Oh Verzeihung, Frühstückssemmel. Und jetzt? Keine einzige andere Frau weit und breit zu sehen, nur ein kleines Mädchen, sitzend auf den Schultern ihres Vaters. Männer in jeglicher Größe, Form und Alter, mit oder ohne Parfum, ordentlich gekleidet oder wie gerade aus dem Bett geschmissen. Ich bete in diesem Moment für meine Lieblingsverkäuferin, hoffentlich ist wenigstens sie da. Schritt für Schritt gelange ich langsam in die Bäckerei hinein, während an mir die Männer mit großen Tüten und breiten Kuchenkartons hinausgehen. Dann fällt bei mir der Groschen: Muttertag. "Guten Morgen!" schallt es mir mit einer klangvollen Wärme entgegen. Sie ist da, wie schön! Und ich wage zu behaupten, dass auch sie sich über ein weiteres weibliches Wesen in diesem Moment gefreut hat. Soll nicht bedeuten, dass ich Männer nicht leiden oder ertragen kann. Ganz im Gegenteil! Aber in solchen Massen, so früh am Morgen auf nüchternen Magen, da verleiht es mir oft ein unangenehmes Magengefühl. Wie ein Schaf, umzingelt von großen und kleineren, alten und jüngeren Gorillas. Am schlimmsten sind diese Blicke. Man weiß nie, was diese andersartigen Wesen jetzt im Kopf haben. Ist es ein "mm, lecker!" oder "oh, na hallo du!" oder "zieh dir mal was richtiges an!"? Diese Unsicherheit im Bauch brauch ich echt nicht und schon garnicht an meinem Sonntagvormittag.

Mit Tee und angespannten Nerven bepackt setz ich mich in die obere Stube an meinen üblichen Platz am Fenster, klappe den Laptop auf, tu den Teebeutel ins Glas und schaue hinaus. Die Lage bleibt bestehen. Männer kommen und gehen, Hundebellen schallt über den Platz und zwischen den SUVs quetschen sich vereinzelt auch mal kleine Golfautos hinein. Ich beobachte einen älteren Herrn mit Gehstock aus dem Café hinausgehen. In der einen Hand der edel verzierte Stock und in der anderen den rosaroten Herzchen Karton, in dem der Kuchen des Tages drin verpackt ist. Beeren-Sahne Torte in Herzform. Mühevoll und langsam geht er über den Weg. Er ist sehr schick angezogen. Dunkelblaues Jackett und Hose, weißes Hemd, eine rötliche Fliege und die Lederlackschuhe sowie der Hut sind in einem hinreißenden Braunton. Leicht gebeugt geht der alte Mann weiter, (vermutlich) zu seiner Liebsten oder seinem Liebsten. Das rührt mich in diesem Moment so sehr, dass ich mir insgeheim ein wenig wünsche, in 60 Jahren genau diese Frau zu sein, deren Mann morgens in aller Früh adrett und stilvoll aus dem Haus geht, mit oder ohne Gehhilfe, und mit Kuchen wiederkommt. Wie schön wäre das! Sich gemeinsam dann wieder ins Bett einmummeln, Kuchen essen, Tee trinken, einen älteren Film sehen und die Welt einfach mal Welt sein lassen. Durch das Hinschauen auf den nächsten anstürmenden Gorilla, werde ich allerdings aus meiner heilen Traumwelt gerissen, wobei mein Herz wieder mal kurz vorm Zerbrechen steht und meine Nerven kurz vorm Platzen. Ich blicke auf einen in Jogginganzug bekleideten Mann, der sichtlich keine Lust hat, zu dieser Zeit in dieser Situation zu sein. Sein Gesicht verbildlicht auf enorme Art und Weise ein "Boah ne, gar kein Bock, viel zu früh, Alter/Digga (oder was die sonst heutzutage sagen)". Mit dicken Tüten und dem Herzchen Karton schleppt er sich irgendwann aus der Stube. Da denk ich, kein Wunder, dass mein Männerbild oder Männerverhältnis leicht gestört ist. Ein weiterer Mann kommt im Hände-in-den-Hosentaschen-Gang vorbei. Im großen Abstand tappen hinter ihm her seine Sprösslinge. Alle drei scheinen wenig amüsiert zu sein. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, wo ich die Stimme seiner kleinen Prinzessin unten vor der Theke höre, die ganz euphorisiert vom Duft der frischen Leckereien sich eine nach der anderen aussucht. Schokocroissant, Sternen-Kirschtaler, rosa Glitzer-Donut, Käselaugenstange und vieles mehr, wofür sie eigene Neologismen anwendet. Goldig. Ob ich damals auch so war? Ich kann mich garnicht mehr recht erinnern. Hoffentlich behält die kleine Maus ihren Sinn fürs Mehrwollen und ihren Mut, alles auszusprechen, was ihr durch den Kopf geht. Hoffentlich bleibt ihr die starke laute Frau in ihrem Inneren lebenslänglich erhalten! Angeführt vom Tütenbeladenen Vater, marschieren sie wieder hinaus. Beide Kinder genießen dabei ihre auf-die-Faust-Croissants und laufen unbeschwerten Geistes hinter ihrem Papa her.

Es fällt mir nicht leicht, meine Gedanken und Gefühle an diesem Morgen zu ordnen oder überhaupt zu verstehen. Schon in der Schlange stehend, flossen so viele ambivalente Regungen durch meinen Körper und Geist. Die ersten Gedanken waren sehr typisch für mich und eventuell auch beeinflusst vom vorangegangenen Autos-Hunde-Überfall. Ich sah die Männer und nachdem ich begriffen hatte, dass heute Muttertag ist: Boom, Einschlag feuriger Wut in meine Magengrube. Innerlich schrie ich die Herrschaften an: "Ja toll, und alle anderen 364 Tage wird nicht an die Frau, die Mutter oder die Geliebte gedacht? An allen anderen Tagen darf sie selbst mit beladenem Einkaufs- und Kinderwagen zum Bäcker gehen? Braucht ihr ehrlich einen festen Tag für euren Liebesbeweis, eure Wertschätzung und Anerkennung? Und ihr meint auch noch, dass es mit Gebäck getan ist?". Uff, wenn man einmal in Rage ist, dann kann es ganz schön abgehen, egal zu welcher Uhrzeit. Mittlerweile kommen aber meine üblichen Gewissensbisse hoch und ich schaue auf mich selbst. Auch ich habe meiner Mama Blumen geschickt und früher immer was für sie gebastelt, gemalt oder gebacken. "Weil man´s halt so macht" und weil es alle anderen auch tun. Verdammt, in was für einer Scheiße stecken wir Menschen eigentlich? An diesem einen Maitag habe ich immer Mamas Stimme im Ohr, die schon früher sagte, sie mache sich nichts aus Muttertag, der solle doch an jedem Tag gelten. Und wie recht sie damals schon hatte, das begreife ich jedes Jahr aufs Neue. Ich hatte das Privileg, umgeben von Liebe und Frieden sowie von mütterlicher und väterlicher Zuneigung groß zu werden. Zudem hatte ich das große Glück bei charakterlich unglaublich starken Frauen aufzuwachsen. Die Zeit mit meinen Großmüttern und mit meiner Mama hat mir so vieles gegeben und ich bin froh, diese Frauen in meinem Leben zu wissen. Gleichfalls die Jahre mit meinen Großvätern. Auch wenn unsere gemeinsame Zeit nicht allzu lange war, so wärmten sie mir liebevoll die Seele und gaben mir Pfeife rauchend ihre Lebensweisheiten mit, die ich stets im Herzen tragen werde. Ebenso den wunderbaren Tabakgeruch. Und was meinen Vater betrifft, so wünsche ich mir keinen anderen und bin so frohen Herzens, diesen einen Mann in meinem Leben zu wissen, der immer da sein wird, egal was passiert. Also sitze ich hier, trinke Tee, erinnere mich an all die Menschen, die meine Tage hellerstrahlen ließen und besinne mich darauf, dass es Liebe in unserer Welt gibt. Wenn auch (nur) durch festeingetragene Tage im Kalender, sie umarmt uns alle auf vielfältige Art und Weise. Jederzeit.