Kontrollleuchte geht auf Gelb
Kalt die Seele, leer der Kaffee und drückend der Schädel. Aber der Motor muss dennoch weiter laufen…
Und am siebten Tag heißt es, ruhte er. Nach sechs Tagen des Schaffens nahm er sich einen, um nichts zu tun. Mich würde ja mal interessieren, wie dieses Ruhen wohl ausgesehen hat. Lag er auf einer fluffigen Wolke, umkreist von singenden, Harfe spielenden Engeln? Oder löste er sich in diesen 24 Stunden einfach in Luft auf? Wenn ich da an meine freien Tage denke, schwanke ich so ziemlich zwischen abfälligem Schmunzeln und tieftraurigem Hundeblick. Denn mittlerweile fällt mir immer häufiger auf, dass es überhaupt keine wirklich freien Tage sind. Okay gut, ich muss nicht zur Uni hindackeln, das Reinschlüpfen in die trostlosen Alltagsjeans bleibt mir erspart und hektisch das Koffein runterkippen fällt auch weg. All die körperlichen Zwänge schlingen sich für diesen Tag nicht um meinen Hals und so bin ich erlöst vom kiloschwere Tragetaschen-Einkaufen, der Hetzerei zu irgendwelchen nervositätsfördernden Terminen oder dem miesepetrigen Putzen der eigenen vier Wände. Der Körper mag vielleicht ruhend existieren, aber was ist mit dem Inneren? Hat die Seele vielleicht auch mal einen Tag frei? Meine jedenfalls nicht. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mindestens neun Mal an ein und dieselbe Sache nachdenke und mir nicht den Kopf über irgendwelche kräfteraubenden Kleinigkeiten zerbreche. Fühlt sich so an, als wäre ich ein steifstehender grauer Schalter in irgendeinem Drive-In. 24 Stunden und 7 Tage die Woche nur unter Strom und der ständig bemüht ist, ja keinen Betriebsfehler zuzulassen. Alle Menschen um mich herum sind fähig dazu, ihre Freizeit so richtig auszukosten. Freunde und Familie treffen, Kino oder Essen gehen, Berge besteigen, spontan ans Meer fahren, von Klippen springen, Serienmarathons durchziehen, Malkurse besuchen, nach Lust und Laune kochen und backen, Nägel und Gesichter anpinseln, tanzen und feiern gehen und so vieles mehr. Ich aber bleibe pausenlos am Stecker, denn die Bestellungen müssen ja aufgenommen und verarbeitet werden. Schalten diese freilebenden Menschen wirklich voll und ganz ab? Baumeln ihre Seelen tatsächlich hin und her und vergessen sie ehrlich alle anstehenden Unannehmlichkeiten? Würde mich bitte jemand umprogrammieren!
Manchmal steigere ich mich auch ziemlich rein und nehme mir einfach zu viel vor. So beglückend das Abhaken von den Kästchen auf der To do Liste auch ist, zu sehen, was ich alles um mich herum verpasse, erweckt ein so schwermütiges und niederreißendes Gefühl in mir, dass ich völlig hilflos und entgeistert dastehe. Andere würden in diesem Moment wohl alles über Bord werfen und mit dem "sich auch mal was zu gönnen" loslegen. Aber bring mal einen Junkie dazu, von jetzt auf gleich auf seine tägliche Dosis zu verzichten. Die Entzugserscheinungen sind unerträglich, das kann ich gleich verraten. Mir ist es unbegreiflich, warum sich mir nach jeder "schönen und freien Zeit", die ich mir genommen habe, direkt Vorwürfe ansammeln. Dieses Gewicht der vorwurfsbeladenen Gedanken könnte nicht mal Markus Rühl im Bankdrücken stemmen! Es ist nicht so, dass ich mir gar keine Zeit mehr für mich und meine Bedürfnisse nehme. Himmel nein, so ein bisschen Ahnung vom Ausleben und Genießen der Jugend habe ich schon im Kopf abgespeichert. Allerdings macht dieser Teil nur einen winzigen Bereich meiner Festplatte aus. Und wieder einmal die Frage, wie bin ich dazu gekommen? Da war mal so viel Speicherplatz vorhanden, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke. Alles ausprobieren was geht, Grenzen mit einem Radschlag überspringen, jede Emotion und jedes Ereignis gedankenfrei zulassen. Ich glaube, dass ich zu keiner anderen Zeit jemals so ehrlich zu mir selbst war, wie in diesen Jahren, wo ich noch nicht größer als meine Mutter und Großmutter war. Was zu viel war, habe ich auf dem Teller liegengelassen, wo ich Angst hatte, bin ich nicht hin gegangen und was meine Seele belastet hat, davon habe ich mich umgehend befreit. Ich hatte Vertrauen in die ganze Welt um mich herum, habe Hilfestellungen, die ich brauchte, zugelassen und war nicht voreingenommen, was Begegnungen betraf. Ganz nach Pippi Langstrumpfs "ich mal mir die Welt, wie sie mir gefällt" habe ich mir meine kleine Welt so bunt wie es nur ging und in allen möglichen Formen ausgemalt. Erschrocken schau ich auf meine jetzige Welt. Ein scheußlich gradliniges, mit lieblosen schwarzen Bleistiftlinien gezeichnetes Bild und an manchen Stellen so brüchig, dass es mit einem Mal in sich zusammenfallen könnte. Wäre ich ein Auto würde mich kein Schrotthändler der Welt annehmen wollen. So fahr ich, blöd wie ich bin, mit platten Reifen und ohne Öl stur auf dem grauen Asphaltweg weiter. Der Blick in den Rückspiegel zur "guten alten Zeit" zerreißt mich innerlich so sehr, dass ich nur noch stärker auf das Gaspedal drücke, um vor jeglicher Auseinandersetzung mit meinen Problemen davonzurasen. Doch statt mal richtig einen auf Fast & Furious zu machen, die quietschenden Lebensreifen ordentlich qualmen zu lassen und alle Kurven vollkommen auszuschöpfen, sitz ich verängstigt hinterm Steuer, wie der blind taube Opi im Mercedes, und wage es nicht, aus den fesselnden Gewohnheiten und schlechten Gedankenkreisen auszubrechen. Dabei weiß und spüre ich, dass ich die Kraft und den Willen dazu habe. Es steckt in mir und das hat es immer. Ich wäre doch nicht die Tochter meines Vaters, wenn ich nicht wüsste, wie man Reifen wechselt und den Motor wieder ans Laufen bekommt!
An dieser Stelle umarme ich gedanklich nicht nur meinen allzeitbereiten Kindheitshelden, sondern auch alle Menschen, die ich im Herzen trage und durch die mein Motor niemals kaputt gehen wird. Meine Freunde sind es, ohne die ich nicht jeden freien und unfreien Tag überstehen könnte. Meine Familie ist es, ohne die ich nicht dieses Leben erleben wollen würde. Es sind die kleinen Momente im Alltag, die spontan und herzlich ins Hier und Jetzt reinplatzen. Ich glaube für jeden Sherlock auf dieser Welt, der ohne seine Arbeit völlig am Rad dreht, gibt es einen John Watson, der ihn zurück auf die Erde holt und ihn über all die lebenswerten Dinge aufklärt. Denn für das Grübeln über das Böse in der Welt bleibt ja auch noch am morgigen Tag genug Zeit für. Klar, was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Aber lass doch einfach mal die Perspektive wechseln, die Seile der Routine durchschneiden und heute schon das Stück Schokoladenkuchen genießen! Jede Freundschaft und jede Liebe in meinem Leben balsamieren mir auf warmherzige Art und Weise die Seele und lassen mich erkennen, dass es viel schöner ist, Mensch als Maschine zu sein.