Küsse oder Schläge, was darf ich Ihnen heute servieren?

22.01.2024

Da singt das Schicksal auf einmal das Lied von Eis und Feuer…

Erst die Mitte des Januars ist geschafft und schon jetzt sehne ich mich nach den 20 Grad im Schatten, dem jackenlosen Gang aus der Haustür und den feuchtfröhlichen Dates im Eiscafé. Nicht nur der Boden da draußen scheint gefroren und von einer weißen schweren Hülle überdeckt zu sein, nein, auch mein Inneres fühlt sich erstarrt, kalt und leblos an. Ich zählte nie zu den Fällen von Winterdepressionen, ganz im Gegenteil. Aber dieses Mal ist alles anders. Ich lasse es zu, dass die Kälte über mein mutiges Herz und meine freudvolle Seele herzieht und dass mir jegliche Lust, auf dem Eis zu tanzen und dem Winter ins Gesicht zu lachen, verglüht. All das weckt zudem Gedanken in mir auf, die mich über mein bisheriges Leben nachdenken lassen – was sich wie ein eisiger Wirbelsturm im Oberstübchen anfühlt. In solchen Momenten frage ich, ist das etwa mein Schicksal? Muss ich mir immer selbst im Wege stehen und mir selbst mein schlimmster Feind sein? Wie und warum bin ich zu diesem Ich nur gekommen? Ein Ich, das auf einmal nicht mehr verstehen kann, Momente zu genießen, diese voll auszuschöpfen und sich zu sehr über das Morgige den Kopf zerbricht.

Oft haben wir früher bis zum Umfallen "Eier, Butter, Käse, Milch!" gespielt! Einer steht mit weitem Abstand und geschlossenen Augen gegenüber von einer Gruppe anderer und dreht sich im Kreis, während er "Eier, Butter, Käse, Milch" spricht. In dieser Zeit rennt die Gruppe auf den Einzelnen zu und muss sobald dieser "Milch" ruft, steif wie ein Brett stehenbleiben und darf sich nicht mehr bewegen. Das geht so lange, bis die erste Person der Gruppe, den sich drehenden Menschen berührte. Der Sieger darf dann als Nächster in die Rolle des sich drehenden Papageis schlüpfen. Stundenlang und mit einer euphorischen Begeisterung haben wir das permanent gespielt und fühlten uns wie die Coolsten auf der ganzen Welt.

Sehnsuchtsvoll blicke ich auf die unbeschwerte, unbefleckte und grübellose Zeit der Kindheit zurück. Wie "normal" man doch war, wie ehrlich und fröhlich. Was verdammt nochmal ist da bloß mit einem passiert? Diese beschissenen Fragen nach dem "Warum?" haben in meinem Kopf dermaßen Wurzeln geschlagen. So sehr, dass mir manchmal mein einst so großes positives Fantasiepotenzial völlig entgleitet. Warum nur kann ich nicht mehr tauchen wie eine Meerjungfrau, nicht mehr mit dem Playmobil Bauernhof und den Barbies spielen? Und wo ist die Freude über das Kinder-Überraschungsei oder die Tüte mit den Filly Pferdchen hin? Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann der Punkt kam, wo ich mit diesem Hinterfragen von Begebenheiten, von meinem Umfeld und von der eignen Person angefangen habe. Wann erklang das letzte Mal "Milch!"? Werden wir es etwa niemals wieder spielen? Cinderellas Mutter sagt zu ihr "Sei mutig und freundlich!". In der Schule lernt man von Darwin, nur der Stärkere überlebe und nach dem Abschluss heißt es "Glückwunsch, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!". Im Duden steht dieser Ernst im Zusammenhang mit "nicht sorglos-heiter, nicht lachend, sehr gefahrvoll, bedrohlich, besorgniserregend". Na wunderbar, und das ein Leben lang? Ernsthaft?! Da kann einem doch nur jeglicher Lebenswille gefrieren. 

Müde sehe ich mir mein Spiegelbild an und denke, was wäre die Welt bloß ohne Spiegel! Mit denen hat das ganze Zweifeln und der Verlust des Überlebenswillen doch eigentlich angefangen. Du blickst rein und dort, wo es mal flach war, kommen plötzlich diese "Knospen" hervor (ein so widerliches Wort!), die Taille ähnelt den Dellen von Papas Werkstattautos und was die Emotionswelt angeht, da geht mit einem Mal nicht mehr die lachende strahlende Sonne wie die von den Teletubbies auf. Aber hey, plötzlich länger aufbleiben dürfen, bei Freuden übernachten können, das neueste Handy bekommen (bei mir der sagenhafte unantastbare Nintendo 3Ds!!) und selbst entscheiden können, was man anzieht (und was besser nicht). Na, der Preis dafür klingt doch gar nicht so übel, oder? Mm, also gerade wäre mir das behütete Nest aber tausendmal lieber als dieser schwere, lastvolle freie Wille - Autsch! Verdammt! Herzinfarkt des sonst so starken Frauenherzens. Warum will ich mich bloß so unbedingt verkriechen?

Gloria Steinem sagte einst "Mutig zu sein bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern die Angst zu fühlen und es trotzdem zu tun. Wenn du Angst verspürst, versuche sie als Signal zu nutzen, dass etwas wirklich Wichtiges passieren wird." Jetzt erkenne ich, dass mein Problem in der Angst vor der Angst selbst liegt. Unsere Mütter haben doch nicht über Generationen hinweg umsonst für einen freien Weg der Frau und der Menschen in die Welt hinaus gekämpft! Schau hinauf zu ihnen auf ihre Lebensumstände und Schicksale und erinnere dich deiner selbst! – hoppla, da scheint aber doch noch was unter dem zugefrorenen See in mir zu leben. Wenn Millionen andere Menschen vor mir es geschafft haben und über dieses ernsthafte Ich gelebt haben, warum dann aus der Reihe tanzen? Ich bin nicht allein in diesem Winter. Keiner ist das und wie die Jahreszeiten, sind auch wir fähig zum Wandel. Stacey Abrams erklärt "Hoffnung ist schwer. Es ist schmerzhaft. Es erfordert Geduld und ist unberechenbar in seiner Umsetzung, aber es ist die nachhaltigste Quelle für Veränderung und Verbesserung, die möglich ist. Ich halte also an zwei Ideen fest: Die erste ist Hoffnung und die zweite ist der Kampf. Beide müssen real und wahr sein, aber sie brauchen Hilfe, und das bedeutet, dass wir für das kämpfen müssen, was wir wollen. Und ich denke, mit diesen beiden Verpflichtungen - der schmerzhaften Kraft der Hoffnung und der bemerkenswerten, nachhaltigen Natur des Kampfes - können wir Dinge erledigen."

Ob wir nun vom Schicksal liebevoll geküsst oder durch einschlagende Lektionen etwas gebremst werden, nichts hört jemals auf. Und ich allein entscheide, ob ich das jetzt betrauere oder mit hoffendem Lächeln annehme. Langsam fange ich an, daran zu glauben und beginne auch zu verstehen, dass Mut nicht ohne die Angst und Hoffnung nicht ohne den Kampf existieren kann.