Sprachlose Flucht

08.04.2024

Ein Tagebucheintrag über Bettgeschichten mit verhängnisvollen Schlaglöchern…

Wie fremdgesteuert steigen meine Beine über jede einzelne Stufe des Treppenhauses hoch und meine Hüfte bewegt sich schwingend, mit lustvollen und eleganten Bewegungen von rechts nach links und wieder zurück. Unter dem dunklen langen Mantel trage ich halterlose Strümpfe. Slip und BH sind mit Spitze versehen, die Nägel schimmern stechend in einem Weihnachtsstern ähnlichem Rotton und das frisch aufgetragene Parfum auf Hals- und Dekolleté-Bereich zeichnet eine blumig frische Wolke um mich herum ab. Der Gürtel des Mantels schmeichelt meiner Taille und gibt mir einen Halt in der Körpermitte, denn was meine sonstige Körperwahrnehmung und Beherrschung betrifft, so befinde ich mich in einem absoluten Rauschzustand. Ähnlich wie der Hai Bruce in Findet Nemo, wenn er einen Hauch von Fischblut in die Nase bekommt. Die Augen tiefschwarz, der Blick leicht gesenkt und über die Lippen rutscht ihm ein dunkles, scharfmachendes "lecker". Mit kaum was an schreite ich die Treppe rauf und fühle mich so stark und schön, wie zu keinem anderen Zeitpunkt. Angekommen im dritten Stockwerk öffne ich die Gang Tür, schaue nach rechts und sehen ihn im Türrahmen stehen, wobei er sich mit seinem rechten Arm am Rahmen abstützt und sich damit so unglaublich sexy in Pose setzt, dass mir kurz der Atem ausbleibt. Seine schwarze und enganliegende T-Shirt-Hose Kombination verstärkt meinen Luftnotzustand und mit dem Schritt rein in seine Wohnung gibt mir seine Parfumwolke den Rest. Wie gut, dass ich so wenig anhabe, denn diese Hitze ist unerträglich. Ganz normal wie sonst auch steigen wir in den Smalltalk ein, während ich mir meine Boots ausziehe. Mit dem Wissen, dass wenn ich den Mantel öffne, es direkt losgehen wird, überkommt mich kurz eine leichte Panikprise und der Wunsch, doch noch etwas mehr als bloße Unterwäsche zu tragen. Doch dann sehe ich in seine unwissenden wunderschönen Augen und bemerke, wie das Machtgefühl vom Treppengang wieder in mir hochsteigt. Seitlich zu ihm stehend, greife ich zum Gürtel, löse den Knoten und schaue verlegen, mit einem leicht verschwitzten Lächeln zu ihm hinüber. Der Mantel fällt zu Boden. Stille steht zwischen uns. Sein Blick gleitet über meinen Körper und es scheint, als hätte ihm jemand den Stecker gezogen. Leise, tief und mit hungrigem Unterton, gibt er ein "Oh" von sich, was mich dazu verleitet, das Band der Anspannung zu durchtrennen und mit einem großen Schritt auf ihn zuzugehen. Meine Hände legen sich auf seine Brust und drücken ihn nach hinten gegen den Schrank. Meine Mitte stößt gegen die seine, wie zwei Magnete, die sich nicht mehr voneinander lösen lassen. Meine Lippen streicheln sanft über seinen Hals entlang, hoch zu seinen Wangen und ganz zart über seinen Mund. Ich spüre die Wärme seiner Hände auf meinem unteren Rücken und wie er mich noch fester an sich drückt. Als würden wir beide um das letzte Lüftchen auf Erden ringen, so stöhnen wir einander an. Voller Leidenschaft angetrieben erkunden unser Finger den jeweils anderen Körper, als würden sich diese zum ersten oder letzten Male betasten. Brennende Hitze flammt mir im Bauch auf, mein Brustkorb ballt sich mit einem lustvollen Schweregefühl auf und mein Intimbereich sehnt sich verkrampfend nach dem seinigen. Unkontrollierbar und unaufhaltsam, überfluten mich feuchte Neugier und ein nie endendes Hungergefühl.

Es ist ein Spiel aus Anspannung und sich Fallenlassen, ein Kampf zwischen Besitzen und sich hingeben. Nichts auf der Welt vermag mir ein solches Gefühl von Lebendigkeit zu verleihen. Ich liebe diesen Typ dafür. Er bringt mich dazu, alles um mich herum zu vergessen. Dieser Mann, der einen Keil zwischen meinen Geist und Körper schlägt und mir somit hilft, für einen kurzen Moment lang alles an mir Klebende und Saugende abzuwerfen. Dieser eine, der dir die scheußliche Welt wie einen Mantel vom Leib abnimmt, den halte fest, denke ich mir. Und das tue ich. Schon seit zwei Jahren schenken wir uns gegenseitig Fluchtmöglichkeiten aus dem Alltag und füllen damit den Energietank des jeweils anderen wieder auf. So fühlt es sich jedenfalls an. Immer wenn ich bei ihm bin, ist die Welt für einen kurzen Augenblick ein Ort, an dem es sich leben lässt. Diesen verdammten Geist mal ausschalten und nur mit dem Körper wahr- und aufnehmen, das ist es, was mir dabei hilft, das große böse Außerhalb zu ertragen. Und wenn dieser Moment schwindet, wenn die Leidenschaftsflut einen auf Ebbe macht, dann sehe ich die am Strandboden übrig gebliebenen und festgesaugten Kleinteile, die gegen die Flut siegten und nicht damit verschwanden. Großflächige Schuldgefühls-Muscheln, spitze Selbstvorwurfs-Steine und stinkende Selbsthass-Müllreste. All jene Kleinteile schreien mich regelrecht an, nennen mich Hure und verbreiten in meiner Bauchhöhle ziehende, sich selbst zerfleischende Schmerzen. Mein Hirn schaltet sich ein und formt jenen Gefühlsballast in Sätze um, die ich mir ganz automatisch und mit purer Selbstverständlichkeit einverleibe, wie den täglichen Kaffee. Was ich mir da morgens mit aufs Brot schmiere, sind Gedanken rund um die Last der eignen Verantwortlichkeit. So denke ich, dass es meinen Sexualpartnern gegenüber nicht fair ist, sie für mein Vergnügen, für meine Alltagsflucht derart emotional zu benutzen oder gar zu verbrauchen. Ich stelle immer wieder fest, dass ich in jenen körperlichen Ekstasen zwar vollkommen dabei bin und mich um das Wohl des anderen kümmere, aber nie ist mein Herz bei der Sache dabei. Gefühle schalten sich bei mir aus und es wird stockfinster in mir. Fast schon wie ein kleines Mädchen, dass paar Tage lang mit ihrer Puppe spielt und dann völlige Kehrtwende macht, die Puppe links liegen lässt und nur noch mit dem Hot Wheels Auto spielt. Okay, mit Gegenständen geht das, aber mit Menschen? Auf keinen Fall. Es sei denn, man hat das Glück und trifft jemanden, der auch gerne Teil dieses Junkie Lochs ist. Das Wort Geschlechtsverkehr bringt diesen ganzen Mist recht gut auf den Punkt. Man begibt sich auf unbekannte Wege und muss dabei nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere Straßenteilnehmer achten. Tja und wenn man das nicht tut, dann gibt's Pannen und Unfälle ohne Ende und hupend auffahrende Idioten, die dich bis zur Panikattacke weit bedrängen und die dir einfach nur den Tag vermiesen wollen. Beim Sex ist das irgendwie nicht anders. Entweder erlebst du den besten Trip deines Lebens oder die Tour geht absolut den Bach runter. Wenn man im letzteren Fall auch noch den falschen Beifahrer an der Seite hat, na dann Gute Nacht.

Wie viel Gleichgesinnung doch wert ist und was sie alles ausmacht. Diese Unstimmigkeiten, besonders in Bezug auf sexuelle Vorlieben und individuelle Zukunftsvorstellung, boxen Bauch und Herz derart nieder, wie Rocky seinen Gegner in der zwölften Runde. Ich schäme mich viel zu oft für meine Art und Weise, das Leben zu leben. Zu sehen, dass ich mit meiner Persönlichkeit anderen wehtue, schafft mich ungemein. Ich liebe es, anderen ein gutes und wohliges Gefühl zu vermitteln will. Aber dabei ist es so schwer, sich selbst treu zu bleiben. Ums Hinbiegen komm ich manchmal nicht drumherum und dadurch reite ich mich eigentlich immer weiter in die Kacke rein. Wie mir so oft immer gesagt wird, man muss über alles reden. Ohne Kommunikation funktioniert nichts. Kein Verkehr, kein Zusammenleben und guter Sex schonmal gar nicht. Es wird ehrlich Zeit, dass ich meinen Mund auch mal fürs Aussprechen benutze und nicht nur fürs… gut, dass muss jetzt nicht mehr ausgesprochen werden. Kann man sich ja auch denken. 

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